Handbike News

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Die legendäre große „Kraftprobe“ von Trondheim nach Oslo im Handbike

Gerade mal 18 Jahre alt, raubt ihm ein Querschnitt das Gehvermögen. Im Rollstuhl entwickelt er sich zum Hochleistungssportler. Mut und Ideenreichtum machen ihn zum Pionier in der Entwicklung von Sportrollstühlen. Im vergangenen Jahr brachte ihn ein Unfall beim Handbiken an den Rand der Vollinvalidität. Nur ein Jahr und einen Monat später bewältigt er zum zweiten Mal nach 2006 „die große Kraftprobe“. Die legendären 540 km von Trondheim nach Oslo „handbiked“ er in Rekordzeit.

Errol Marklein erzählt…:
Der „Schlag“ Es ist der Tag nach dem MLP-Marathon 2010. Es sollte eine gemütliche, eher entspannende Runde mit dem Handbike werden. Stattdessen finde ich mich am Ende dieses Tages im Krankenhaus wieder. Die Wucht, mit der das Auto gegen mich prallt, beendet die Tour mehr als nur ungemütlich. Über zwanzig schmerzerfüllte Minuten warte ich auf die erlösende Injektion durch den Notarzt. Seine Erstdiagnose: Schlüsselbeinbruch, Schulterschaden, Rippenfraktur. Erst nach der Verlegung in die orthopädische Uniklinik nach Schlierbach entdeckt man den Grund der angstverfüllten Atemnot, die mich plagt. Der Befund auf der Intensivstation: Eine Rippe steckt im rechten Lungenflügel. Selbiger mit Wasser und Blut fast vollgelaufen, kollabiert.
Meine „Lage“
So schlimm das alles klingen mag – mein persönlicher Befund fiel weit dramatischer aus: Völliger Verlust der Selbstständigkeit. Hilflosigkeit! Den Blick starr auf die Decke des Intensivzimmers gerichtet, fühle ich mich erinnert an damals, vor 35 Jahren. Ich saß im Beifahrersitz, als der Unfall geschah, der mich zum Rollstuhlfahrer machte. Damals begann ein neues, ein anderes Leben. Genau darin aber besteht auch der gefühlte Unterschied. Völlige Hilflosigkeit ist ein Empfinden von ganz besonderer Dimension. Hier liege ich nun, in meinem Krankenbett, wie ein Vogel mit lahmen Beinen und gebrochenem Flügel. Dazu kommt meine Selbstkritik, ja fast schon Ärger über mich selbst. Hinter mir liegen „sportfaule“ vier Jahre. Viele Monate mangelnder körperlicher Aktivität, entschuldigt mit starker beruflicher Beanspruchung und mit dem Leistungspensum all dieser Sportlerjahre, das ich wohl bis zum Ende meines Lebens als ausreichend erachtete. Ich habe 11 kg mehr auf meinen gebrochenen Rippen als im Herbst 2006. Damals beendete ich meine Karriere, nachdem ich als erster Handbiker mit Querschnittslähmung die berühmte Radstrecke von Trondheim nach Oslo in anderthalb Tagen absolvierte. Heute allerdings lässt ein Blick auf meine Arme vermuten, dass ich – nach Abzug der seitdem verlorenen Muskulatur – wahrscheinlich über 15 kg Fettmasse angehäuft habe. Mein Stoffwechsel? Spürbar aus dem Gleichgewicht. Und nun? Ein Blick zurück bringt Selbsterkenntnis! Das Existentielle jedoch liegt stets vor einem. Was also bringt meine Zukunft? Fortwährend mitfühlende Blicke?
„Ziel“ und „Zugzwang“
Schon bei meiner ersten „Leistungsprüfung“ vor fünf Jahren war er fest an meiner Seite. Dr. Thomas Abel, stellvertretender Leiter am Institut für Bewegungs und Neurowissenschaft an der Deutschen Sporthochschule, begleitete meine Vorbereitungen aus sportwissenschaftlicher Sicht – und die Tour von Trondheim nach Oslo damals mit dem Servicefahrzeug. 38 lange und freundschaftlich verbindende Stunden! Als er, extra aus Köln angereist, überraschend an meinem Krankenbett steht, sagen Blicke mehr als Worte. Seine Augen verraten mir Ungläubigkeit – also besser als Mitleid im Angesicht meiner eigentlich erbarmungswürdigen Situation. Um dieser Ungläubigkeit noch eins draufzusetzen, verrate ich ihm: „Thomas, in einem Jahr fahren wir Trondheim-Oslo. Und Du fährst diesmal mit dem Rennrad mit!“ Seine Antwort: „In einem halben Jahr checke ich Deine Werte. Dann erst denke ich ernsthaft darüber nach.“ Dennoch: So ist es entstanden, das Ziel – in einer aussichtslos erscheinenden Lage! Ein gemeinsames Ziel. Und letztlich auch das Resultat einer Männerfreundschaft.
Schon bald ist dieses Ziel allen bekannt, mit zwei wichtigen Konsequenzen. Ein konkretes Ziel legitimiert den Aufwand. Sonst käme so manch einer auf die Idee, die viele körperliche Aktivität sei ein Hobby, das dem reinen Vergnügen dient. Für mich bedeutet es: Leben! Zweitens ist ein kommuniziertes Ziel immer ein verbindliches Maß. Neudeutsch nennt man das wohl „nudging“. Eine Abkehr von diesem Ziel ist ohne Gesichtsverlust kaum zu machen. So verrückt es auch klingen mag – es gilt: Die Entscheidung steht. Ich bin im Zugzwang. In einem Jahr geht‘s nach Trondheim, und von dort mit dem Handbike nach Oslo – mit einer Platte und ein paar Schrauben in der Schulter! 540 Kilometer – vom 63sten „runter“ bis auf den 59sten Breitengrad.
„Handlung“ und „Heilung“
Was ist zu tun? „Handeln“ ist das Gebot der Stunde. Ich brauche beruflichen Freiraum. „Weniger Überstunden“ - war die Devise. Also auch mal pünktlich raus aus der Arbeit! Die Kollegen betrachten das mit viel Wohlwollen. Auch meine Familie steht voll hinter mir. Die Basis ist geschaffen. Doch das „Training“ beginnt zunächst mit Physiotherapie – und mit Schmerzen, täglicher Überwindung und Sorge: Ist denn das überhaupt zu schaffen? Hab‘ ich mich übernommen? Es sind kleine Etappen. Jeden Tag ein wenig mehr. Ich finde eine Strecke, messe sie ab, setze Zeitvorgaben, fahre sie einmal, bald mehrmals pro Trainingseinheit. Mein „SRM-PowerMeter“ wird zum Maß aller Dinge. Langsam fängt das Training an, ich spüre meine Leistungskraft, merke Fortschritte und fühle mich zurück im Sport. Mein SRM bestätigt das – und mein guter Freund Thomas fängt an, mit mir Pläne zu machen: Was werden wir anders machen als vor fünf Jahren? Wie können wir Zeit einsparen? Ich optimiere mein Bike, jedes Detail. Bald liege ich perfekt ausbalanciert im Bike wie in einem Schlingentisch. Meine physischen Werte werden immer besser. Seit ich zum Leistungstraining zurückgekehrt bin, habe ich Monat für Monat im Schnitt ein Kilo abgenommen. Wir treffen konkrete Entscheidungen: Während ich damals noch selbst zwei Tage bis Trondheim mit dem Servicewagen gefahren bin, gönnen wir uns eine Reise im Flugzeug – mit einer wasserdichten Thermohose, mehr Kleidung zum Wechseln und einem exakt ausgeklügelten Streckenplan im Gepäck. Wir gehen ein Risiko ein: Statt am Freitagabend – wie noch in 2006 – starten wir erst am Samstagmorgen. Wir wissen wohl, dass die Strecke Punkt 12 Uhr am darauffolgenden Sonntag schließen wird. So haben wir Trondheim-Oslo ganz klar durchgetaktet in dem Bewusstsein: Uns bleiben weniger als 30 Stunden. Wir müssen über acht Stunden schneller sein als damals. Als wir am Freitag vor dem anvisierten Startzeitpunkt in Trondheim ankommen, ist das Wetter so, wie sich das auf diesem Breitengrad vermuten lässt: regnerisch, windig und kalt. Es sieht nicht gut aus. Zumindest ist uns klar: Nicht schon an diesem Freitag zu starten ist auf keinen Fall eine Fehlentscheidung. Wir warten ab und schlafen gut. Tags darauf, frühmorgens: „norwegisches Kaiserwetter“. Die 10 – 15 Grad Außentemperatur empfinde ich als angenehme Frische. Die Sonne scheint, kein Wind. Ich setze mich in mein Bike und fühle mich topfit – kein Zipperlein, alle Sorgen fortgeweht Stattdessen: einfach ein gutes Gefühl. Punkt acht Uhr geht´s los. Ich im Handbike, Thomas – wie vor wenig mehr als einem Jahr an meinem Krankenbett versprochen – mit dem Rennrad. Zwei weitere Freunde begleiten uns mit dem Servicefahrzeug. Nach wenigen Stunden bin ich vollkommen im Fluss. Jede Umdrehung verschafft mir mehr Gleichgewicht, perfekte Balance und tiefe Freude. An meinem „SRM“ beobachte ich permanent meine Leistung in Watt, die Cycle und Herzfrequenz, die Geschwindigkeit und die Durchschnittswerte der letzten Minuten und Stunden. Ich bin schneller als erwartet. Bei exakt gleicher Wattleistung erziele ich höhere Geschwindigkeiten, fühle mich fitter und bin einfach ergonomischer unterwegs. Wir minimieren die Pausen. Ich bin nicht müde und mir dabei allerdings kaum bewusst, dass meinem Freund Thomas auf dem Rennrad alles deutlich schwerer fällt. An Steigungen muss er langsamer fahren, als er eigentlich kann, um bei mir zu bleiben. Bei Abfahrten hingegen hält er kaum mit – für ihn als treuer Begleiter werden die 540 km eine Tortur. Für mich ist jeder Kilometer der pure Luxus, eine Art „innere Heilung“ nach vielen Nackenschlägen, die – wie könnte es anders sein – nicht immer nur mein Äußeres in Mitleidenschaft gezogen haben. Nun, hier irgendwo in den norwegischen Bergen, bin ich völlig bei mir. Ich verfüge über meine eigene Zeit. Ich fühle mich „on top of things“. Es ist bestimmt völlig normal, dass Teilnehmer einer solchen Leistungsprüfung irgendwann das Ziel herbeisehnen. Ich hingegen denke mir im Angesicht dieser immerwährenden Helligkeit nahe des nördlichen Polarkreises: „Hoffentlich hört´s nie auf…“.
„Demut“ und „Dankbarkeit“
Auch diese Strecke, die niemals zu Ende zu gehen scheint, findet ihr Ziel: Oslo, eine wunderschöne Stadt an der Spitze eines Fjords. Es ist Sonntag, der 26. Juni 2011, 9:00 Uhr vormittags. Nur 25 Stunden nach unserem Start in Trondheim rollen wir in der norwegischen Hauptstadt ein. Nur ein Jahr und wenig mehr als einen Monat nach meinem Unfall bin ich am Ziel. An unserem Ziel. Thomas auf dem Rennrad, unsere beiden Begleiter im Servicewagen – uns verbindet eine gemeinsame Leistung, ein nicht zu erwartender Verlauf einer Herausforderung mit ganz besonderen Vorzeichen. Wir haben unsere Erfahrung genutzt, treffend geplant, die richtigen Entscheidungen getroffen, waren von den Umständen begünstigt und haben letztlich unsere Chance auch genutzt. Ich empfinde tiefe Demut im Angesicht dessen, was da passiert ist – die letzten Stunden, die vergangenen Monate. So sitzen wir – rechtschaffend müde, eigentlich ausgezehrt und gleichzeitig aufgekratzt – bis drei Uhr früh am Ufer des Osloer Fjords, blicken voller Dankbarkeit in die Sonne, die in dieser einzigartigen Nacht nicht untergehen will, so, als wolle sie den Tag niemals loslassen. Mir gegenüber sitzen meine Freunde, hinter ihnen steht ein Turm mit einer riesigen Uhr. Und wenn ich nur könnte, ich würde sie anhalten, einfach festhalten, so wie jeden einzelnen Augenblick in dieser norwegischen Mittsommernacht – am Höhepunkt einer langen Reise…

 

Errol Marklein wird kommende Woche, am 7.12.2011 im Zentrum Aktiver Prävention³ im Racket Center Nussloch über seine ungewöhnlichen Erlebnisse nach seiner Beinahe-Vollinvalidität berichten und darüber, wie er sich mit großer Zähigkeit und viel Sport wieder aufgebaut hat. Sein Rekord beim Rennen Trondheim—Oslo spricht für sich.

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