Warum mit dem Handbike im Windschatten fahren?
Vielen Dank an Dr. Thomas Abel und seinem Team (Deutsche Sporthochschule Köln) für die Genehmigung, die Studie zu veröffentlichen
'Windschatteneffekt beim Handbiken'
Deutsche Sporthochschule Köln - Institut für Motorik und Bewegungstechnik - Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin
Zur Arbeitsgruppe:
Im Institut für Motorik und Bewegungstechnik der Deutschen Sporthochschule Köln werden seit geraumer Zeit wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich der Leistungsdiagnostik im Sport von Menschen mit Behinderung und Leistungsminderung durchgeführt. Ein Schwerpunkt der Arbeiten liegt bei Untersuchungen in der Sportart Handbiken. Die zum Teil vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft geförderten Studien, die von Dr. Thomas Abel und Ralf Lindschulten durchgeführt wurden, beschäftigten sich unter anderem mit biomechanischen, trainingsphysiologischen und wettkampfspezifischen Aspekten des Handbikens. Fragen können an Dr. Thomas Abel (e-Mail) gerichtet werden. Deutsche Sporthochschule Köln Institut für Motorik und Bewegungstechnik Carl-Diem-Weg 6 50933 Köln
Die Studie
Das Handbike ist in den letzten Jahren in Deutschland zu
einem beliebten Sportgefährt für Menschen mit einer Rückenmarksschädigung
oder einer Amputation der unteren Extremitäten geworden.
Derzeitige im Wettkampf eingesetzte Handbikes (Abb.1) haben
ihren Ursprung im Adaptivbike, einer Konstruktion aus Alltagsrollstuhl
und daran befestigtem Handbike.

Abbildung Modernes Rennhandbike (Fa. Sopur)
Vergleiche der Wettkampfresultate der letzten Jahre zeigen
eine rasante Leistungszunahme. Beim Heidelberg-Marathon 2005
betrug die Zeit auf der Marathondistanz 01:07:18, was einer
Durchschnittsgeschwindigkeit von über 37 km/h entspricht. Um
eine derartige Leistung zu erbringen, ist es unumgänglich, systematisch
zu trainieren und ein optimales taktisches Verhalten im Rennen
zu zeigen. Generell wird die Leistungsdichte immer größer. Hierdurch
wird deutlich, dass das Fahren im Windschatten des Vordermanns
ein wichtiges taktisches Manöver ist und unter Umständen rennentscheidend
sein kann.
In den letzten Jahren wurden umfangreiche Untersuchungen zum
Thema des Windwiderstands im Radsport sowie im Laufen und Inline-Skaten
durchgeführt QUOTE "(3;4;8;12-15)"(3;4;8;12-15),QUOTE"" Alle
Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass Fahren im Windschatten
zu Ersparnissen in der aufzubringenden Leistung führt.
Untersuchungen von Neumann (2000), Capelli et al. (1993) sowie
Kyle (1979) ergaben eine deutliche Reduzierung der zu erbringenden
Leistung beim Fahren im Windschatten bei hohen Geschwindigkeiten.
Die aufzubringende Leistung kann durch das Fahren im Windschatten
bei einer Geschwindigkeit von 48 km/h um 38% reduziert werden
QUOTE (5;13;14)" (5;13;14).QUOTE
Beim Handbiken müssen zur Fortbewegung verschiedene Widerstandskräfte
überwunden werden. In der Literatur wird keine einheitliche
Terminologie benutzt.
Im folgenden Artikel wird die Terminologie nach Gressmann (2003) verwendet.
Seiner Beschreibung folgend gibt es drei Widerstandskräfte, die der Handbiker zu überwinden hat.
| Fges = FSt + FL + FR | |
| wobei | Fges = Gesamtwiderstand in Newton FSt = Steigungswiderstand in Newton FL = Luftwiderstand in Newton FR = Rollwiderstand in Newton |
Aus dieser Formel resultiert die zu erbringende Leistung wie folgt:
| P = Fges * v | |
| wobei | P (Watt) der physikalischen Leistung entspricht Fges (Newton) dem Gesamtwiderstand entspricht und V (m/s) der gefahrenen Geschwindigkeit entspricht |
Der Steigungswiderstand (FST) ergibt sich aus
dem Gewicht des Systems „Rad + Person“ und der zu überwindenden
Steigung QUOTE "6;7;14)"(6;7;14).
Die Rollwiderstände (FR) des Handbikes sind hauptsächlich
vom Zustand des Handbikes (Bereifung, Sturz der Hinterräder),
vom Gewicht des Fahrers und von der Beschaffenheit des Bodens
abhängig. Der Rollwiderstand spielt ab einer Geschwindigkeit
von ca. 16 km/h eine untergeordnete Rolle. Die Rollwiderstände,
die bei Geschwindigkeiten von über 30 km/h zu überwinden sind,
betragen letztendlich nur 10-20 % der gesamten Leistung QUOTE
"(7;13)"(7;13; 9)
Der Luftwiderstand wird mit 80 % - 90 % des Gesamtwiderstandes,
der überwunden werden muss, angegeben QUOTE "(6;7)"(6;7) QUOTE""
Er resultiert aus zwei Widerständen, dem Strömungswiderstand
QUOTE "(7)"(7)und dem Reibungswiderstand. Der Luftwiderstand
steigt quadratisch mit der Windgeschwindigkeit an. Um das Phänomen
des Windschattens zu verstehen, sind die Strömungsverhältnisse
und Druckverhältnisse (Staudruck) entscheidend. Bei Windstille
und einer bestimmten Fahrgeschwindigkeit v prallen die Luftmoleküle
mit exakt der Geschwindigkeit v auf die Stirnfläche A und erzeugen
vor dem Fahrer einen Staudruck p1. Die Stirnfläche
A und der cw-Wert bestimmen den Grad der Ablenkung
(Verengung der Strömungslinien) der Luft und deren Verwirbelung.
Die Verwirbelung verlangsamt die Strömungsgeschwindigkeit der
Luft und sorgt so für einen verminderten Druck p2
hinter dem Fahrer. Die Druckdifferenz zwischen p1
und p2 erzeugt den resistiven Luftwiderstand. Physikalische
Gesetzmäßigkeiten der Strömungslehre können zur Begründung herangezogen
werden QUOTE "(6)" (6). Durch die Verlangsamung der Strömungsgeschwindigkeit
der Luft und dem verminderten Druck hinter dem Athleten ist
der Vorteil für den dicht hinterherfahrenden Handbiker offensichtlich.
Fährt er in dem druckärmeren Bereich, vermindert sich der Staudruck
p1 vor seinem Körper, der Druck p2 bleibt
aber gleich, so dass die Differenz der Druckverhältnisse und
damit der resistive Luftwiderstand sinkt.
Inhalt der hier vorliegenden Studie war es, den Einfluss des
"Formationsfahrens" auf folgende Parameter zu untersuchen: Leistung
in Watt, Geschwindigkeit in km/h und Kurbelfrequenz in U/min.
Diese wurden mit Hilfe eines SRM-Kraftmesssystems (Fa. Schoberer
Rad Messtechnik, Jülich, Deutschland) bestimmt und aufgezeichnet
(Abb. 2).
Der Parameter Herzfrequenz wurde mit einer Pulsuhr Polar „S710“
(Fa. Polar Electro, Oy, Finnland) kontinuierlich aufgezeichnet.
Die Laktatkonzentration wurde nach der Blutentnahme aus dem
manuell hyperämisierten Ohrläppchen mit einem Ebio plus Analysegerät
(Fa. Eppendorf, Hamburg, Deutschland) gemessen.
An den Untersuchungen nahmen 16 gesunde männliche Probanden
teil, nachdem ihnen der Umfang und die Risiken der Untersuchung
erklärt wurden und sie schriftlich ihr Einverständnis in die
Untersuchung gegeben hatten. Bei den Probanden handelte es sich
um Studierende der Deutschen Sporthochschule Köln mit einem
guten Trainingszustand der oberen Extremität aus den Sportarten
Schwimmen, Handball und Judo.

Abbildung 2 Handbike mit eingebautem SRM System zur Messung der Leistung unter Belastung
Testdesign
In einer neu eröffneten und deshalb noch kaum genutzten Tiefgarage
der Häfen und Güterverkehr Köln AG im Rheinauhafen, welche die
Länge von 2,5 km hat, wurden optimale Testbedingungen vorgefunden.
Die eigentliche Teststrecke hatte eine Gesamtlänge von 450 m.
Die äußeren Bedingungen waren während der gesamten Testphase
konstant.
Getestet wurde mit 4 Handbikes „Spirit 470“ (Fa. Sopur Sunrisemedical,
Malsch, Deutschland). Die 4 Handbikes wurden vor dem Start mit
dem SRM-Messsystem ausgerüstet. Vor jeder Fahrt wurden die Systeme
kalibriert.
Die Gruppe der vier Handbiker musste jede der Geschwindigkeiten
22 km/h, 24 km/h und 28 km/h in jeweils einer Viererformation
fahren (Abb. 3).

Abbildung 3: Viererformation
Die Geschwindigkeitsstufen wurden von den Probanden in randomisierter
Form absolviert. Direkt im Anschluss an jede Belastung sowie
nach einer Erholungszeit von 3 Minuten erfolgten die Blutentnahmen
aus dem Ohrläppchen zur Bestimmung der Laktatkonzentration.
Die gesammelten Daten der Polaruhren und des SRM-Messsystems
wurden später am Computer ausgewertet. Zur Berechnung statistisch
signifikanter Unterschiede wurden Varianzanalysen (ANOVA) mit
dem Programm Statistica Version 5.1 durchgeführt.
Ergebnisse
Die folgenden Abbildungen zeigen jeweils den Mittelwert 8
sowie den Standardfehler SE. Statistisch signifikante Unterschiede
wurden in allen Graphen kenntlich gemacht.
Abbildung 4 zeigt die Mittelwerte der Laktatkonzentration direkt
nach Belastungsende und in der dritten Minute der Erholung.

Abbildung 4: Mittlere Laktatkonzentration (mmol/l) mit Standardfehler
nach Belastung und nach drei Minuten Erholung mit Standardfehler
In Abbildung 5 ist die Leistung an den verschiedenen Positionen der Formation gemittelt für die drei Geschwindigkeiten dargestellt.

Abbildung 5:Mittlere Leistung (W) mit Standardfehler gemittelt
über die drei Geschwindigkeiten an den vier Positionen
Abbildung 6 zeigt die zu erbringende Leistung bei der Geschwindigkeit 28 km/h. Die erbrachten Leistungen an den Positionen 2,3 und 4 unterscheiden sich hoch signifikant von denen an Position 1.

Abbildung 6:Leistung (W) mit Standardfehler bei 28 km/h
In Abbildung 7 sind die Herzfrequenzen für 28 km/h an den Positionen 2,3 und 4 dargestellt.

Abbildung 7: Herzfrequenz (S/min) mit Standardfehler
bei 28 km/ an den vier Positionen
Die Abbildung 8 stellt die Laktatkonzentrationen nach der Belastung und nach 3 Minuten Erholung für die Geschwindigkeit 28 km/h dar.

Abbildung 8: Laktatkonzentration (mmol/l) nach Belastung und
drei Minuten Erholung mit Standardfehler bei 28 km/h
Diskussion
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass vergleichbare Resultate
aus dem Bereich des Radsports auf das Handbiken übertragbar
sind. Es konnte gezeigt werden, dass durch das Fahren im Windschatten
Ersparnisse bis zu 25% bei einer Geschwindigkeit von 28 km/h
möglich sind. Aufgrund der Ergebnisse anderer Untersuchungsgruppen
aus dem Sport von Menschen ohne Behinderung darf vermutet werden,
dass bei höheren Geschwindigkeiten die Leistungsersparnisse
deutlich höhere prozentuale Werte erlangen würden QUOTE "(6;10;11;13;14)"
(6;10;11;13;14) QUOTE "" QUOTE "" QUOTE "" QUOTE "" . Leider
war es den Probenden dieser Studie trotz eines guten Trainingszustands
der oberen Extremität nicht möglich, höhere Geschwindigkeiten
in einer geschlossenen Formation zu absolvieren. Derartige Untersuchungen
wären sehr wünschenswert.
Für die leistungsphysiologischen Parameter Herzfrequenz und
Laktatkonzentration ergeben die Daten dieser Studie kein einheitliches
Ergebnis bezüglich der Positionen im Windschatten.
Unter umständen ist dies darauf zurückzuführen, dass die Herzfrequenz
bei einer Belastungszeit von etwas mehr als einer Minute pro
Test noch nicht in ein der Belastung entsprechendes Gleichgewicht
eingestellt war.
Für den Parameter Laktat ergab die Untersuchung zwar einen signifikanten
Unterschied bezüglich der Position 1 zur Position 2. Allerdings
erweisen sich die Laktatkonzentrationen an den Positionen 3
und 4 im Vergleich zur Position 1 als nicht erniedrigt.
Für die Position 4 kann hier als Erklärung herangezogen werden,
dass Fahrer 4 aufgrund einer zur kurzen Erholungsphase nach
seiner Fahrt in der Führungsposition, die er jeweils vorab absolvieren
Auffällig an den Ergebnissen ist, dass an Position 4 die Ersparnisse
geringer ausfallen, als an den Positionen 2 und 3. Zu einem
ähnlichen Ergebnis kommt Neumann (2000). In seiner Untersuchung
muss der Fahrer an Position 4 ebenfalls eine größere Leistung
aufbringen als die Fahrer an Position 2 und 3.musste, mit einer
erhöhten Laktatkonzentration vorbelastet war.
Für diese Auffälligkeit gibt es keine physikalische Erklärung
bzw. sind die Literaturbefunde hierzu nicht einheitlich (1;2;11)
(1;2;11) QUOTE "" QUOTE ""
Neumann (2000) begründet den Unterschied über den Effekt der
„Ziehharmonika“. Hiermit ist gemeint, dass bereits kleine Unregelmäßigkeiten
bezüglich der Geschwindigkeit und des Abstands zwischen den
einzelnen Fahrern jeweils von den anderen Fahrern ausgeglichen
werden müssen. Dies potenziert sich insbesondere an der Position
4. Gleiche Ergebnisse finden sich bei Schumacher und Müller
(2001).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der physikalische Parameter
Leistung die Ersparnisse innerhalb der vorliegenden Untersuchung
- ohne die Möglichkeit spiroergometrischer Untersuchungen -
am besten aufzeigt. Hier konnte eine statistisch signifikante
Leistungsreduktion um bis zu 25 % bei einer Geschwindigkeit
von 28 km/h nachgewiesen werden.
Aufgrund dieser Ergebnisse und der Tatsache, dass die Sportart
Handbiken in den letzten Jahren eine rasante, auch leistungsorientierte
Entwicklung durchlaufen hat, ist es für die Athletinnen und
Athleten von großer Bedeutung, die taktische Komponente „Fahren
im Windschatten“ mit in die Rennplanung einzubeziehen.
Die Autoren bedanken sich bei den Probanden der Studie, bei
der Firma SOPUR für das zur Verfügung stellen der Handbikes
und bei der Häfen und Güterverkehr Köln AG für die Möglichkeit
zur Nutzung der Tiefgarage.
Die Untersuchung wurde durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft gefördert (VF 0407/04/41/2003-2004).